Ich frage mich, wenn ich jetzt schon so sensibel bin, Geräusche und Gerüche ungefiltert in mich eindringen, und diese Durchlässigkeit Jahr um Jahr zunimmt, wie ist dass dann wenn ich richtig alt bin? Bin ich dann komplett durchlässig? Durchscheinend? Transparent, wie der gläserne Frosch oder der Glas-Oktopus?
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Schraube locker
Soviel Wut. Wut, über mich selbst. Seit gestern, bin ich über die Maßen wütend auf mich selbst. Ich arbeite als Sekretärin in einem mittelständischen Unternehmen. An und für sich macht mir die Arbeit Spaß. Sie ist abwechslungsreich. Von der Bestellung der Bleistifte, über die Abrechnungen von Dienstreisen, bis hin zur Bewirtung von unseren Gästen. Und wir haben viele Gäste. Aus dem In- und Ausland. Auch hochkarätige Gäste. Professoren, Doktoren und andere erfolgreiche Leute. Seit Tagen bereite ich mit meinen Kolleginnen eine Veranstaltung vor, an der mein Chef vor all eben diesen hochkarätigen Gästen vorträgt, was er Neues auf den Markt bringt. Es gibt teuren Champagner und Häppchen. Es macht Spaß für alles zu sorgen: Geschenke einkaufen, Hotelzimmer buchen, die vorzeitig angereisten Gäste mit Kaffee und Kuchen versorgen. Ich liebe es, wenn es allen gut geht. Ich habe ein ausgereiftes Kümmer-Gen.
Es ist so weit, alles ist vorbereitet. Der Sound hochfrequent, die Stuhlreihen wie mit dem Lineal gezogen, der Champagner kalt gestellt, die Gäste anwesend. Mein Chef hält eine feurige Rede, mit viel Witz und Humor. Alle hören aufmerksam zu und am Ende wird wild geklatscht. Ich freue mich, dass alles so gut funktioniert hat. Und ich freue mich über meinen Chef. Ehrlich. Ich freue mich, dass er Erfolg hat, er hat es wirklich verdient. Er arbeitet viel, hängt sich rein. Er glaubt an sich und an das, was er tut. Ich meine das nicht im überheblichen Sinne. Und ich meine es ernst, wenn ich sage, dass ich mich für ihn freue. Ganz aufrichtig.
Wir räumen auf. Mein Chef ist noch umringt von seinen engsten Freunden und Geschäftspartnern. Es werden noch die letzten Reste des edlen Gesöffs gelehrt. Ich räume Stühle auf den ursprünglichen Platz. Herr Vordruck schenkt sich noch einen ein. „Guten Tag, Herr Vordruck. Hat es Ihnen gefallen?“, frage ich. „Ja, danke.“ „Ist alles zu Ihrer Zufriedenheit im Hotel?“ „Ja“, er will gar nicht mit mir sprechen, dreht sich um und geht weg. Erster kleiner Stich, den ich noch nicht gleich bemerke. Richtig weh tut es erst, als ich allein, meine Kolleginnen sind in der Küche, einen schweren Tisch anhebe, alle aus der Runde mir zusehen, und ihn Zentimeter für Zentimeter durch den Raum hieve. Der Stachel bohrt sich immer tiefer in meine Zellen. Ich räume zusammengekniffen zu Ende auf und schaffe es gerade noch bis in mein Büro. Ich tue geschäftig. „Du bist noch da?“, fragt mein Chef erstaunt, Jacke unter dem Arm. Er möchte nach Hause, zu Frau und Kind. Mein Chef ist nett und er gewährt mir alle Freiheiten. Aber genau darum geht es. Meine Freiheiten WILL ICH MIR GEWÄHREN. Was um alles in der Welt tue ich hier?
Meine Wut gilt mir. Ich glaube nicht an mich, ich wertschätze mich nicht und nicht das was ich tue und auch nicht das, was ich eben nicht tue. Ich verkaufe mich immer unter Wert. Wut, weil ich es nicht geregelt bekomme, mein Kümmer-Gen zu reparieren, damit es vor allem und an oberster Stelle mal bei mir astrein und hundertprozentig funktioniert. Da ist, im wahrsten Sinne des Wortes, bei mir ’ne Schraube locker.
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Es riecht nach wilder Erde
Aller Anfang wohnt ein Zauber inne. Oder: Aller Anfang beginnt mit dem Verlassen der eigenen Komfortzone, mit dem Mut, etwas Neues zu wagen. Mit dem Wagnis etwas zu tun, was keinen Anklang findet, nicht mal bei mir selbst. Aber auch: Wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Wer nicht versucht, geht sich zeitlebens fremd. Ich habe mich entschieden Joshua`s Einladung, die er vor Jahren ausgesprochen hat, anzunehmen. Ich bin entschlossen, dem vielgesichtigen Gründerich zu folgen, der die Schleier zurückhält, damit ich hindurch sehen kann.
Ich lege zaghaft meine Hand in seine. Es riecht nach feuchter Erde. Ich gehe.